Astrologische Pioniere in Deutschland im 20. Jahrhundert
Claudia von Schierstedt
erschienen in Meridian 4/1998
Horoskopdaten: * 23. 2.1853, 12: 00 LMT, Cottbus/D, Quelle:
IHL 1
Albert Friedrich Wilhelm
Kniepf wurde am 23.2.1853 um 12:01:17 Uhr in Kottbus geboren. Bei
dieser sekundengenauen Geburtszeit handelt es sich sicherlich um
eine korrigierte Zeit. Sie wurde uns von Oskar Petersson, einem
Freund Kniepfs, überliefert.
Kniepf war Journalist, Schriftsteller, Literaturkritiker und
Philosoph. Seit Anfang der 90-er Jahre des 19. Jahrhunderts
beschäftigte er sich in seiner Freizeit sehr intensiv mit
Astrologie. Er begann auf empirischem Weg die Astrologie einer
strengen Prüfung zu unterziehen und trat für ihre Richtigkeit
ein. In der Art seiner Annäherung an die Astrologie sah er sich
als Nachfolger Keplers.
Kniepf war ein Zeitgenosse von Karl Brandler-Pracht. Während
Brandler-Pracht in erster Linie danach strebte, die Astrologie in
ihrer traditionellen Form einer breiteren Bevölkerungsschicht
bekanntzumachen und Lehrmaterial in deutscher Sprache
herauszugeben, blieb Albert Kniepf der stille Wissenschaftler und
Philosoph im Hintergrund, der kritisch viele Elemente der
traditionellen Astrologie eliminierte, die sich nicht mit seinem
naturwissenschaftlichen Weltbild vereinbaren liessen.
Kniepf beschäftigte sich mit den alten Quellen der
Astrologie, u.a. mit dem Tetrabiblos des Ptolemäus, der Mathesis
des Firmicus Maternus und auch der astrologischen Literatur aus
der Renaissance, dem Speculum des Junctinus oder der Astrologia
Gallica des Morin. Mit Akribie untersuchte er beispielsweise die
Herkunft der in der Astrologie überlieferten Erhöhungsgrade der
einzelnen Planeten. Er fand eine mögliche Quelle in den
Überlieferungen des Zendavesta und schrieb über seine
Erkenntnisse eine fundierte Artikelserie in der
Astrologiezeitschrift Zodiakos im Jahre 1910.
Das Fundament der Kniepfschen Astrologie
bildete die Aspektlehre. Nachdem er sich mit den verschiedenen
Häusersystemen auseinandergesetzt hatte, entschied er sich für
den Gebrauch der Placidus-Häuser. Diese schienen ihm 'aufgrund
ihrer wesenhaften Verflechtung mit den planetarischen Direktionen
in den Tagbögen und deren Aspektendynamik.' die naheliegendste
Lösung im Häuserstreit zu sein. In der Zeitschrift Zodiakos
schreibt er 1911 in Heft 2, dass keine andere Häusermethode mit
dem System der Mundanbögen so natürlich und zwanglos verwachsen
sei.
Kniepf beschäftigte sich auch mit den verschiedensten
Direktionen. Er entwickelte spezielle Direktionsmethoden und
verwendete dabei sowohl Primärdirektionen (1° für 1 Jahr, auf
dem Äquator dirigiert) als auch Sonnenbogendirektionen, die er
ebenfalls auf dem Äquator vorschob. Transite sah er als absolut
nebensächlich an und verwendete sie kaum. Mit seinem Freund und
Kollegen Oskar Petersson beobachtete er über Jahrzehnte hinweg
einige hundert Fixsterne, um ihre Wirkung zu erforschen.
Kniepf schrieb mehrere Bücher, darunter zwei astrologische
Abhandlungen 'Die psychischen Wirkungen der Gestirne -
Physikalische Begründung der Horoskopie und Astrologie im
Umriss' von 1898 und 'Die Physik der Astrologie' von 1899. In
diesen Werken beschäftigt er sich besonders mit
erkenntnistheoretischen und philosophischen Betrachtungen zur
Astrologie und führt die Ursache für die Wirkungen der Planeten
auf magnetische Kräfte zurück. Ausserdem diskutiert er in
seinen Werken ausführlich die verschiedenen Argumente, die gegen
die Astrologie vorgebracht werden, z.B. die Beweiskraft
eingetroffener Prognosen, das Problem des Determinismus u.v.a.
In deutschen und englischen astrologischen Zeitschriften um
die Jahrhundertwende wurden zahlreiche Artikel Kniepfs
veröffentlicht, die Einblick in seine praktische Arbeit
gewähren. Er schrieb unter anderem über die Trutina Hermetis
und Konzeptionshoroskope im Zusammenhang mit Nietzsches Horoskop
und über den Halley'schen Kometen. Die Luftschiffahrt schien ihn
besonders zu reizen, da er über Graf Zeppelins Fahrt nach
Berlin, die Vernichtung eines deutschen Marine-Luftkreuzers und
die Vernichtung des französischen Militär-Luftschiffes 'La
Republique' astrologische Abhandlungen schrieb. Kniepf setzte
sich kritisch mit geschichtlichen Überlieferungen auseinander
und recherchierte astrologische Prognosen, die sich erfüllt
haben. Weitere Artikel schrieb er über den Astrologen Vogt,
König Ludwig 2. von Bayern, König Karl von Portugal und zum Tod
von König Eduard 7. von England. Auch mit dem zu seiner Zeit
stattgefundenen Untergang der Titanic setzte er sich mit
astrologischen Mitteln auseinander. Eine grössere Abhandlung
verfasste er über Wallensteins Horoskop.
Albert Kniepf starb am 28.8.1924 um 9 Uhr 30 in Hamburg. Die
zwei Tage später stattfindende Sonnenfinsternis auf 7° Jungfrau
bildete eine exakte Opposition zu seiner Radix-Sonne. Er hatte
seinen Todeszeitpunkt selbst vorausberechnet. Am Morgen seines
Sterbetages sagte er zu seiner Frau: 'Mutter, dies wird ein
schwerer Tag für uns, wenn wir den nur erst überstanden
hätten.' Er starb auf der Strasse, als er auf dem Weg zum Arzt
war. Die Grabrede eines befreundeten Astrologen wurde in den
Astrologischen Blättern (6.Jhg./7 im Oktober 1924) abgedruckt.
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